Das Coronavirus und der damit verbundene Lockdown haben Gesellschaften auf der ganzen Welt in eine schwierige Situation gebracht. Um solche Krisen zukünftig zu verhindern, sollten wir die COVID-19-Pandemie aber auch als eine Chance und einen Ausgangspunkt für einen globalen Wandel hin zu mehr ökologischer, wirtschaftlicher und sozialer Nachhaltigkeit nutzen. In diesem Blog-Artikel wollen wir erklären, warum und wie die gegenwärtige Krise die Nachhaltigkeitswende beschleunigen könnte.
Der Beginn der Coronavirus-Krise liegt mehrere Monate zurück, aber sie ist weiterhin allgegenwärtig. Blickt man in die nationale wie internationale Berichterstattung, fällt allerdings auf, dass sich Corona-Analysen hauptsächlich mit den wirtschaftlichen und sozialen Folgen befassen, aber kaum mit der Frage, warum das Virus so plötzlich aufgetaucht ist und sich so schnell ausbreiten konnte – die Pandemie wird nur selten in Zusammenhang mit dem Thema Nachhaltigkeit gebracht. Dabei hängt ihr Ausbruch maßgeblich mit der wenig nachhaltigen Lebens- und Verhaltensweise des Menschen zusammen. Im vorliegenden Text wollen wir erläutern, warum es so wichtig ist, diesen Zusammenhang zu verstehen. Dabei ist es hilfreich, »Nachhaltigkeit« umfassend und besonders die »ökologische«, »wirtschaftliche« und »soziale« Dimension zu betrachten. Anschließend haben wir für die ausgewählten Bereiche Mobilität, Wirtschaft und Konsum sowie Ernährung beispielhaft einige Ideen zusammengetragen, wie diese nachhaltiger gestaltet werden könnten.
Verschiedene Dimensionen von Nachhaltigkeit
Doch zunächst wollen wir auf die verschiedenen Dimensionen von Nachhaltigkeit eingehen und erklären, wie diese mit dem Ausbruch der Corona-Krise in Verbindung stehen. Aus ökologischer Sicht haben etwa die große Flächennutzung durch Landwirtschaft, Bergbau, Straßenbau und Waldrodungen zu einem Verlust biologischer Diversität geführt und natürliche Lebensräume vieler Wildtiere zerstört. Durch das Fehlen dieser natürlichen Rückzugsgebiete hat sich die Wahrscheinlichkeit des Aufeinandertreffens von Menschen und Wildtieren erhöht – und mit ihr vermutlich die Möglichkeit, dass Viren, die ursprünglich nur Wildtiere betrafen, auf Menschen überspringen und sogenannte Zoonosen auslösen können. Im Fall von Corona ist allerdings der genaue Ursprung des Virus noch nicht abschließend geklärt, wenngleich vieles darauf hindeutet, dass dies ebenfalls eine zoonotische Krankheit ist – wie auch SARS, MERS oder Ebola.
Weiterhin hat aus wirtschaftlicher Sicht die hochgradig globalisierte Wirtschaft mit ihren langen, komplexen Wertschöpfungsketten und den vielen dazugehörigen internationalen Dienstreisen zur schnellen Ausbreitung des Coronavirus beigetragen. Und auch die aktuellen Konsequenzen der Corona-Krise offenbaren die fehlende ökonomische Nachhaltigkeit: Zwar ist es angesichts einer starken Konzentration der Lieferketten auf wenige Niedriglohnländer wie China und der Just-in-Time-Produktion möglich, Waren aus aller Welt schnell und günstig bis vor die eigene Haustür geliefert zu bekommen, jedoch fehlt dem globalen Wirtschaftssystem dadurch auch jeglicher Puffer, um etwaige Störungen abzufangen; es ist »ausoptimiert« und wenig »resilient«. Die Corona-Krise hat diese Schwachstellen offengelegt, die auch dazu beigetragen haben, dass die Pandemie große Teile der Wirtschaft lahmlegen konnte und zu einer der größten Wirtschaftskrisen seit 1929 führen wird.
Schließlich ist die Krise aber auch deshalb schwer zu bewältigen, weil den sozialen Aspekten der Nachhaltigkeit zu wenig Wert beigemessen wurde. So sind viele westliche Gesundheitssysteme von ähnlichen Effizienzzwängen betroffen wie andere Teile der Wirtschaft und Gesellschaft auch. Dies hat in der Krise dazu geführt, dass in vielen Ländern zu wenig Intensivbetten in Krankenhäusern und zu wenig Beatmungsgeräte für die plötzlich ansteigende Zahl der Patienten zur Verfügung standen. Personalmangel, schlechte Entlohnung und eine geringe Wertschätzung von Berufen im Gesundheitssektor haben ebenfalls dazu beigetragen, dass viele Länder nur schlecht auf die Corona-Krise vorbereitet waren.
Mangelnde Nachhaltigkeit hat zur Krise beigetragen und sie verschärft
Zusammengefasst trug der Mangel an ökologischer Nachhaltigkeit wahrscheinlich zum Ausbruch des Coronavirus bei, während mangelnde wirtschaftliche und soziale Nachhaltigkeit die durch das Coronavirus hervorgerufene Krise weiter verschärft haben.
Für Experten kam die gegenwärtige Situation jedoch alles andere als unerwartet, denn Forscher der WHO warnten schon lange vor der Gefahr durch Zoonosen. Gelingt es uns nicht, unsere Lebens- und Verhaltensweisen stärker im Sinne der Nachhaltigkeit auszurichten, ist es wahrscheinlich, dass wir immer häufiger katastrophale Ereignisse diesen Ausmaßes erleben, sowohl auf regionaler wie auch auf globaler Ebene – nicht zuletzt auch wegen der Klimakrise. Genau deshalb ist es auch so wichtig, den Zusammenhang zwischen dem Coronavirus und mangelnder Nachhaltigkeit zu thematisieren und hier anzusetzen, um wiederkehrende Krisen zu vermeiden. Daher sollten wir die aktuelle Situation nutzen, um unsere Wirtschaft und Gesellschaft nicht wieder so aufzubauen, wie sie vor Corona war – sondern Wirtschaft, Konsum und Ernährung, Gesundheitswesen, Mobilität, Energie, etc. umgehend nachhaltiger zu gestalten. Hier ein paar Reflexionen zu den drei Bereichen Mobilität, Wirtschaft und Konsum sowie Ernährung, die zum Teil auch in den Konjunkturprogrammen zur Überwindung der Krise eine wichtige Rolle spielen:
Umstellung des Mobilitätssystems
Die aktuelle Lage könnten wir zum Beispiel dazu nutzen, um unser Mobilitätssystem grundlegend umzustellen. Im Zuge der Corona-Krise mussten viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer plötzlich von Zuhause aus arbeiten – oft hat dies gut funktioniert, wenn auch unter ungewöhnlichen Umständen. Schon ein oder zwei Tage Home-Office pro Woche könnten den Pendlerverkehr spürbar entlasten und genauso Videokonferenzen zum Teil Dienstreisen – wo es Sinn macht und möglich ist – ersetzen. Im urbanen Individualverkehr könnte ein intelligentes Kombinieren (z.B. via Apps) verschiedener Verkehrsmittel, wie zum Beispiel des Fahrrads, ÖPNV oder Sharing-Konzepten zur Reduzierung der Luft- und Verkehrsbelastung beitragen und helfen, den Mobilitätssektor nachhaltiger zu gestalten. Auch die Elektromobilität könnte hier einen wichtigen Beitrag leisten, denn heutige Elektroautos stoßen bereits bis zu 42 Prozent weniger Treibhausgasemissionen aus als vergleichbare Pkw mit Verbrennungsmotor. Deshalb plädiert beispielsweise das Umweltbundesamt in seinem 15-Punkte-Plan »Nachhaltig aus der Corona-Krise« dafür, im Rahmen der Corona-Konjunkturprogramme einen »Umweltbonus« für Elektro-Fahrzeuge zeitlich befristet zu verdoppeln und diesen nur vereinzelt bei Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor wie besonders effizienten Hybridfahrzeugen zu gewähren. Weiterhin empfiehlt das UBA, dass öffentliche Gelder dazu genutzt werden sollten, um Einnahmeausfälle bei öffentlichen Verkehrsmitteln durch die Corona-Krise auszugleichen. Auch im Güter- und Warenverkehr sollten alternative Transportmöglichkeiten wie der Schienenverkehr sowie alternative Antriebe viel stärker genutzt werden, denn der Straßengüterverkehr ist mit mehr als einem Drittel der nationalen Treibhausgasemissionen der zweitgrößte Emittent im Verkehrssektor.
Corona-Epidemie könnte Wirtschaft und Konsum grundlegend verändern
Was Wirtschaft und Konsum anbelangt, gehen Trendforscher davon aus, dass die Corona-Epidemie die Häufigkeit und die Art, wie wir konsumieren, grundlegend verändern wird. Zum einen, das zeigt auch das Beispiel Chinas, sind Konsumentinnen und Konsumenten insgesamt eher zurückhaltend und werden das laut Umfragen wohl auch eine Zeit – die Rede ist von bis zu zwei Jahren – bleiben. Ein Grund ist die Sorge einer aufziehenden Rezession, weshalb die Hälfte der Deutschen laut einer Umfrage der Boston Consulting Group beim Konsum sparen wollen. Zum anderen könnte die Corona-Krise bereits zuvor einsetzende Trends wie den Bedeutungsverlust innerstädtischer Shoppingmeilen und die vermehrte Nachfrage nach regional hergestellten Produkten – um nur zwei Beispiele zu nennen – dramatisch beschleunigen. Um diesen veränderten Konsumansprüchen zu genügen, sollte die Wirtschaft stärker im Sinne einer Bioökonomie sowie einer »Sharing Economy« ausgerichtet werden. Dabei orientiert sich das wirtschaftliche Handeln stärker an natürlichen Stoffkreisläufen und weniger an fossilen Rohstoffen oder folgt dem Leitmotiv »Leihen statt Besitzen«.So kann man beispielsweise Kleidung, die man nur selten oder für kurze Zeit braucht, online mieten und somit die Nutzungsdauer und -intensität einzelner Teile erhöhen. Inwiefern dies auch dann nachhaltiger ist, wenn man die dadurch erhöhten Transport- und Logistikemissionen mit einberechnet, wird derzeit erforscht. Auch in der Industrie werden bereits industriell-kollaborative Arbeitsformen geprüft und erforscht. So können etwa mobile Vor-Ort-Produktionsanlagen von Herstellern für ihre Kunden oder internetbasierte Plattformen, auf denen Betriebe ihre Maschinen und Werkzeuge oder ganze Produktionsanlagen anderen Unternehmen zur entgeltlichen Nutzung anbieten, zur Einsparung von Energie, Ressourcen und damit zu mehr Nachhaltigkeit führen.
Corona-Krise hat auch im Ernährungssektor Spuren hinterlassen
Auch im Ernährungssektor hat die Corona-Krise deutliche Spuren hinterlassen und könnte dazu führen, dass sich neue Trends durchsetzen und den Ernährungsbereich nachhaltig verändern. Man denke nur an Hamsterkäufe zu Beginn der Krise und dadurch bedingte leere Supermarktregale. Aus diesem Grund mussten wir unsere Ernährungs-, Kauf- und Kochgewohnheiten an neue Bedingungen anpassen, wobei auf einmal der Vorteil kurzer Handelswege und regional hergestellter Produkte noch deutlicher wurde. Als Konsequenz aus der Corona-Krise könnten deshalb sowohl die Lebensmittelindustrie als auch Kundinnen und Kunden stärker auf die Regionalität und die saisonale Verfügbarkeit von Produkten achten. Eine Studie zu zukünftigen Trends im Lebensmittelbereich zeigt etwa, dass »Lokale Lebensmittel-Kreisläufe« das ganze Ernährungssystem verändern könnten, weil z.B. ein stärkerer Direktverkauf von Lebensmittelproduzenten an Endkundinnen und -kunden nicht nur zu frischeren Produkten führt, sondern auch zu weniger Verpackungsmüll oder geringeren Umweltschäden durch den entfallenden Lebensmitteltransport. Auch die Fleischindustrie könnte aufgrund der hohen Corona-Fallzahlen in Schlachthöfen durch die aktuelle Krise zu einem Umdenken gezwungen werden. Bisher sind die Geschäftsmodelle vieler Betriebe vorwiegend auf günstige Produkte ausgerichtet, was dazu führt, dass viele Angestellte auf engstem Raum zusammenarbeiten und Abstands- und Hygieneregeln gar nicht einhalten können. Strengere Regeln bzw. ein Ende der Orientierung auf Billigprodukte könnten jedoch auch zu einem Preisanstieg von konventionellem Fleisch führen. Hier könnte der Trend hin zu »alternativen Proteinen« wie etwa durch pflanzliche Fleischalternativen, Produkte auf Insektenbasis oder mittels modernster Biotechnologien hergestelltes Fleisch helfen, sowohl den Proteinbedarf einer wachsenden Weltbevölkerung nachhaltiger zu decken als auch den hohen Pro-Kopf-Fleischkonsum (USA: 97 kg; Europa: 67 kg) und damit verbundene Umwelt-, Gesundheits- und Tierwohlprobleme zu reduzieren.
Es gibt Ansätze für mehr Nachhaltigkeit im Alltag
Insgesamt zeigt sich also, dass es bereits jetzt etliche umsetzbare Ansätze, Ideen und Lösungsoptionen für mehr Nachhaltigkeit im Alltag gibt, die vor der Corona-Krise noch als schwer realisierbar galten oder mit vielen Hürden verbunden waren, während der Krise aber plötzlich teilweise Anwendung fanden wie etwa vermehrtes Arbeiten im Home-Office, weniger Dienstreisen und mehr Videokonferenzen. Nutzen wir also die entstandene Aufbruchsdynamik, um selbst einen Teil zur Nachhaltigkeitswende beizutragen.