Mit Visioning zu einem positiven Zukunftsbild für die Landnutzung
Im Projekt »Zukunftswerkstatt Landwende« der Leopoldina (Nationale Akademie der Wissenschaften) haben junge Erwachsene gemeinsam eine Vision für den idealen Landkreis im Jahr 2070 entwickelt. Dr. Philine Warnke und Charlotte Freudenberg vom Competence Center Foresight des Fraunhofer ISI haben diese Werkstatt im April 2024 konzipiert und moderiert. Hier berichtet Philine Warnke von dieser Erfahrung – und von ihrer Begeisterung.
An der »Zukunftswerkstatt Landwende« haben 29 junge Erwachsene aus unterschiedlichen Disziplinen, mit unterschiedlichen Erfahrungen und Hintergründen teilgenommen. Wie habt ihr sie ins Gespräch gebracht?
Die Kennenlernphase war im wahrsten Sinne des Wortes »bewegt«: Erstens hatten wir alle gebeten, einen Gegenstand mitzubringen, der zeigt, was ihnen am Land am Herzen liegt. In der Vorstellungsrunde wurden diese Gegenstände erklärt und feierlich auf einen Tisch gelegt – sie haben uns dann die ganze Zeit begleitet.
Zweitens haben wir immer wieder Aufstellungen nach Landschaftstypen gemacht: Aus welcher Art von Landschaft kommt Ihr? Welche Art von Landschaft liegt Euch besonders am Herzen? Dazu hatte uns Kathleen Uebigau vom Projektpartner »Sterntaucher Filmproduktion« wunderschöne Grafiken gezeichnet.
An den Einstiegsgesprächen haben zudem die beteiligten Wissenschaftler:innen teilgenommen, darunter die Biodiversitäts-Expertin Prof. Dr. Katrin Böhning-Gaese, der Ethiker Prof. Dr. Thomas Potthast, die Agrarwissenschaftlerin Dr. Hermine Mitter, der Klimaforscher Prof. Dr. Markus Reichstein und die Ökonomin Dr. Amelie Michalke. Die Einstimmungsgespräche in lockerer Atmosphäre dienten dazu, die Teilnehmenden dafür zu öffnen, nicht nur Wissen und Analysen zu teilen, sondern auch Werte und Gefühle – das ist wichtig, wenn es um wünschenswerte Zukünfte geht wie eben bei unserer Leitfrage »Wie wollen wir leben?«
Erst danach sind wir inhaltlich eingestiegen, und zwar mit einer Sammlung dessen, was das Land alles leisten soll. Das hat super geklappt: Die Teilnehmenden haben das klassische Trilemma aus Klimaschutz, Ernährung und Biodiversität ausgeweitet und mit eigenen Perspektiven ergänzt. Dazu gehört das Land als Raum für gutes Leben, Erholung, Gemeinschaft und Arbeit.
Wie habt ihr den Prozess gestaltet?
Den Prozess haben meine Kollegin Charlotte Freudenberg und ich nach den typischen Phasen eines Foresight-Prozesses beziehungsweise einer Zukunftswerkstatt strukturiert: 1. Wo stehen wir und was ist das Problem? 2. Wo wollen wir hin? 3. Wie kommen wir dahin?
Für die erste Frage stand vor allem der Austausch mit den Expert:innen im Mittelpunkt. Das lief über ein World Café, also den Austausch an wechselnden Tischen.
Die zweite Phase – »Wo wollen wir hin?« war ein Visioning-Prozess. Hier kam es darauf an, die Gemeinsamkeiten der Gruppe herauszuarbeiten. Das beginnt mit Einzelarbeit zur Frage »Was ist mir wichtig?«. Das wird in immer größeren Gruppen integriert, bis schließlich die von allen geteilten Aspekte für die Frage »Was ist uns wichtig?« feststehen.
Dabei tauchten natürlich auch Themen auf, über die keine Einigung erzielt wurde, beispielsweise bei der Frage, welche Formen von Eigentum die ideale Zukunft aufweist. Diese stellen wir normalerweise zunächst zurück. Den Teilnehmenden der Zukunftswerkstatt war es aber sehr wichtig, auch die konfliktreichen Themen ausführlich zu diskutieren, so dass sie fast immer Formulierungen gefunden haben, mit denen alle leben konnten. Dazu gehörten etwa die Fragen, welche Rolle Tierhaltung im idealen Landkreis noch spielt und wie Mobilität dort aussieht.
Für die dritte Phase »Wie kommen wir dahin?« haben wir das sogenannte »3 Horizons Framework« genutzt. Dieses Schema hilft dabei, eine Transformation zu durchdenken. Zum einen beschreibt der Transformationspfad, wie das Neue Schritt für Schritt aufgebaut wird. Parallel wird überlegt, welche problematischen Aspekte der aktuellen Landnutzung abgebaut werden und was von dem Bestehenden erhalten bleibt. Auf dieser Basis lässt sich dann gut erkennen, welche Konflikte auftreten, aber auch welche heute schon sichtbaren Innovationen zur Transformation beitragen können.
Für den Prozess war es wichtig, immer wieder neue Gruppen zu bilden, damit sich die Teilnehmenden mit ihren verschiedenen Hintergründen neu durchmischen und neue Perspektiven zusammenkommen konnten. Für diese Aufteilung haben wir Spielkarten genutzt.
Bei all den Herausforderungen bei der Nutzung des begrenzten Landes und den unterschiedlichen Meinungen: Wie habt ihr es geschafft, den Prozess positiv zu halten, um zur Version eines idealen Landkreises im Jahr 2070 zu kommen?
Das war gar nicht so leicht am Anfang, vor allem, da viele der Teilnehmenden engagiert und gut informiert sind über die großen Probleme der Gegenwart – und diese natürlich besprechen wollten.
Da war es von Vorteil, dass die Werkstatt fünf Tage dauerte: So konnten wir darauf verweisen, dass wir auch noch dazu kommen, was man heute tun muss – und unter diese Prämisse konnten die Teilnehmenden sich darauf einlassen, zunächst einmal zu beschreiben welche ideale Zukunft sie sich erträumen.
Aber auch die vorhin schon geschilderten kleinen Übungen wie zur Herzenslandschaft und zum Herzensgegenstand haben dazu beigetragen, die Teilnehmenden für positives Denken zu öffnen. Als der positive Pfad einmal geöffnet war, ging es von selbst.
Schließlich haben die Kolleginnen von der Leopoldina ein super Rahmenprogramm organisiert, wodurch auch immer wieder positive Impulse hereinkamen.
Wie habt ihr die Teilnehmenden erlebt, vor allem im Vergleich zu bisherigen Workshops in der Politik und in Unternehmen? Was war ihnen besonders wichtig?
Vor allem waren wir begeistert von der Diskussionskultur und der starken Achtsamkeit für die Gruppe als Ganzes. Es gab eine extrem hohe Bereitschaft, sich mit anderen Positionen auseinanderzusetzen. Inhaltlich lag ein sehr großer Fokus auf Gemeinschaft und Gerechtigkeit. Die Teilnehmenden der Zukunftswerkstatt haben uns mit ihrem enormen Wissen, ihrem Engagement und ihrem Umgang miteinander wirklich sehr begeistert. Wir haben sehr viel von ihnen gelernt.
Vorstellung der Ergebnisse
Heute Abend werden die Ergebnisse der Zukunftswerkstatt »Landwende: Wie wollen wir leben?« bei einer Veranstaltung in Berlin der Öffentlichkeit präsentiert.
Um 18 Uhr startet im Hörsaal der Kaiserin-Friedrich-Stiftung (Robert-Koch-Platz 7, 10115 Berlin) die wissenschaftliche Einführung durch Katrin Böhning-Gaese. Anschließend stellen die Teilnehmer:innen die Ergebnisse der Zukunftswerkstatt vor und diskutieren ihre Zukunftsvision mit Vertreter:innen aus Politik, Wirtschaft und Verbänden sowie dem Publikum.
Weitere Informationen zur Veranstaltung und den Link zur erforderlichen Anmeldung gibt es auf https://www.leopoldina.org/veranstaltungen/veranstaltung/event/3200/.