Wie der Mobilitätspass zum Klimaschutz in Baden-Württemberg beitragen kann

von Dr. Niklas Sieber und Dr. Michael Krail /

Kommunen in Baden-Württemberg können mit dem Mobilitätspass eine erhebliche Verbesserung der Angebote des öffentlichen Verkehrs finanzieren. Das zeigt eine wissenschaftliche Literaturrecherche zum Gesetzesvorhaben des Verkehrsministeriums. Damit werden Gemeinden in die Lage versetzt, die lokal erzeugten Treibhausgasemissionen des Verkehrs zu senken. Von den vier ursprünglich vorgesehenen Varianten hat die Straßennutzungsgebühr das größte Potential zum Klimaschutz – ausgerechnet diese wurde jedoch aus dem Gesetzentwurf gestrichen. Dennoch eröffnet der Mobilitätspass den Kommunen neue Optionen zur Finanzierung einer erheblichen Verbesserung des öffentlichen Verkehrs. Um die Umweltwirkungen zu erhöhen, sollten die Kommunen zusätzlich Push-Maßnahmen ergreifen, die die Attraktivität des Autoverkehrs verringern.

Baden-Württemberg verfolgt das Ziel, seine verkehrsbedingten CO2-Emissionen bis 2030 gegenüber 1990 um 55 Prozent zu senken. Zur Erreichung dieses Ziels ist eine Vielzahl von Maßnahmen denkbar. Das Ministerium für Verkehr Baden-Württemberg hat den sogenannten Mobilitätspass als einen Ansatz zum massiven Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) vorgestellt. Dieser Blogbeitrag untersucht die möglichen Wirkungen des Mobilitätspasses auf die Finanzierung des öffentlichen Verkehrs und das Klima. Grundlage ist eine umfangreiche Recherche der wissenschaftlichen Literatur.

Was ist der Mobilitätspass?

Der Mobilitätspass soll den Kommunen in Baden-Württemberg die Möglichkeit bieten, zusätzliche Mittel für den Ausbau des ÖPNV zu generieren und Anreize zu setzen, um die Straßen vom Autoverkehr zu entlasten. Laut aktuellstem Gesetzentwurf sollen den Gemeinden zwei Varianten des Mobilitätspasses zur Auswahl stehen. Die Kommunen können frei wählen, ob sie den Mobilitätspass einführen und welche Option sie implementieren möchten:

  • Ein Einwohner:innen-Beitrag, bei dem alle Einwohnerinnen und Einwohner einer Kommune verpflichtend einen monatlichen Beitrag leisten.
  • Eine Kfz-Halter:innen-Beitrag, bei dem alle Kfz-Halterinnen und -Halter in einer Kommune zur Zahlung verpflichtet werden.

In einem früheren Entwurf standen zudem die beiden folgenden Varianten zur Auswahl, die aber (Stand Juli 2024) nicht weiterverfolgt werden:

  • Eine Straßennutzungsgebühr, bei der alle Kfz-Nutzerinnen und Kfz-Nutzer für die Nutzung von Straßen innerhalb eines bestimmten Gebietes eine Gebühr leisten. Deren Höhe kann sich nach der Fahrleistung richten (kilometerabhängige Maut) oder pauschal, beispielsweise für jede Einfahrt in das Gebiet, festgelegt werden (z.B. City-Maut).
  • Eine Arbeitgeberabgabe, bei dem Unternehmen einen Beitrag zahlen. Vorbild ist das französische Modell »versement mobilité« (Maaß et al. 2016, S. 58).

Als Gegenleistung für ihre Abgaben erhalten alle Einzahlenden Vergünstigungen für die ÖPNV-Nutzung. Die über den Mobilitätspass erhobenen Mittel sollen in die Verbesserung des ÖPNV investiert werden.

Klimawirkungen preislicher Maßnahmen im Verkehr

Es gibt eine Vielzahl von wissenschaftlichen Untersuchungen zu den Klimawirkungen preislicher Maßnahmen im Verkehr, die von Sieber et al. (2024, 86ff) zusammengestellt wurden. Eine Übersicht der Wirkungen preislicher Maßnahmen ist in Abbildung 1 dargestellt.

Die stärksten Wirkungen entfaltet eine gemischte Strategie aus Straßennutzungsgebühren, verbessertem ÖPNV und kompakter Bebauung, welche die jährliche Pkw-Verkehrsleistung über einen Zeitraum von zehn Jahren um 7 bis 23 Prozent und über 30 Jahre um 15 bis 26 Prozent senken kann. Die starke Wirkung erklärt sich vor allem durch die Kombination von Push- und Pull-Maßnahmen.

Von den ursprünglich vorgeschlagenen vier Varianten ist die City-Maut die Einzelmaßnahme mit der größten Wirkung, welche in London, Mailand, Stockholm und Göteborg zwischen 2,5 und 22 Prozent der CO2-Emissionen einspart (Axsen et al. 2021). Die Anzahl der in die Innenstadt Londons einfahrenden Autos sank seit Einführung der Maut um ein Drittel (Leape 2006, S. 165), ebenso wie die gefahrenen Kilometer (Transport for London 2005, S. 29). Dieses reduzierte innerstädtische Staus deutlich (Metz 2018), und als positiver Nebeneffekt wurde der öffentliche Busverkehr zuverlässiger und damit attraktiver gemacht.

Selbstverständlich sind die Wirkungen vor allem abhängig von der Höhe der erhobenen Maut. Die Preiselastizität ist der geeignete Indikator, um diesen Zusammenhang zu quantifizieren. Der Vergleich der untersuchten Forschungen zu Mautsystemen zeigt, dass diese in der Regel zwischen -0,2 und -0,9 schwanken (Sieber et al. 2024, 28f). Preisliche Maßnahmen im Parkraum-Management und im öffentlichen Verkehr haben dagegen wesentlich geringere verkehrliche Wirkungen. 

Wirkungen unterschiedlicher preislicher Maßnahmen auf die Fahrleistung des motorisierten Individualverkehrs
© Fraunhofer ISI
Abbildung 1: Wirkungen unterschiedlicher preislicher Maßnahmen auf die Fahrleistung des motorisierten Individualverkehrs

Eine Straßennutzungsgebühr kombiniert Push und Pull

Die Wirkungen der Straßennutzungsgebühr wäre stärker als alle anderen Varianten des Mobilitätspasses, weil sie Push- und Pull-Maßnahmen kombiniert. Das Konzept, dargestellt in Abbildung 2, stammt aus der Logistik und dem Marketing und wurde auf die Verkehrsplanung angewendet. In einer Pull-Strategie wird der öffentliche Verkehr so attraktiv ausgebaut, dass er mehr Kundinnen und Kunden anzieht. Dadurch sollen Verkehrsteilnehmer:innen motiviert werden, vom Auto umzusteigen. Eine Push-Strategie macht den Autoverkehr unattraktiver und verursacht damit eine Verkehrsverlagerung. 

Banister (2008) und Axsen (2021, Abbildung 1) sind sich einig, dass eine Kombination von Push- und Pull-Maßnahmen die größte Wirksamkeit entfaltet. Eine Straßennutzungsgebühr hat Push- als auch Pull-Wirkungen, weil sie einerseits das Autofahren unattraktiver macht und andererseits den öffentlichen Verkehr verbessert. Auch unter Verkehrsplaner:innen ist allgemein bekannt, dass nur die Kombination von Push und Pull zu einer erheblichen Reduktion des Autoverkehrs führt (Hekler 2022).

© Müller, P., Schleicher-Jester, F., und TOPP, H. (1992): Konzepte flächenhafter Verkehrsberuhigung. In: Flächenhafte Verkehrsberuhigung – Folgerungen für die Praxis. Herausgeber: Bundesministerien für Verkehr, für Umwelt und Reaktorsicherheit, für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau, Bonn.
Abbildung 2: Push und Pull in der Verkehrsplanung

In der politischen Praxis ist jedoch eine Pull-Strategie beliebter, weil diese – im Gegensatz zur Push-Strategie – weniger öffentlichen Widerstand erzeugt (Bardal et al. 2020, Eriksson et al. 2008). Oft stoßen Verkehrsbeschränkungen für das Auto auf massiven Widerstand. Der einseitige Fokus auf Pull-Maßnahmen ist nicht unproblematisch, weil eine Angebotsausweitung des öffentlichen Verkehrs nicht automatisch zu einer Reduktion des Autoverkehrs führt. Eine Simulation zum Ausbau des Hamburger ÖPNV zeigt, dass sich der Modal Split nur unwesentlich verschiebt (Schlenther et al. 2022). Das Umsteigen eines Teils der Autofahrer:innen auf den ÖPNV entlastet den Straßenverkehr, verringert Staus, erhöht die Erreichbarkeit und macht damit den Autoverkehr attraktiver. Ohne eine Beschränkung des Straßenverkehrs sind nur geringe Wirkungen durch den alleinigen Ausbau des öffentlichen Verkehrs zu erwarten.

Erhebliche Wirkungen des Mobilitätspasses

Die Wirkungen des Mobilitätspasses werden am stärksten von der Höhe der Beiträge und Gebühren bestimmt, die wiederum die verfügbaren Mittel für den ÖPNV beeinflussen. Während Bund und Land erheblich zu kommunalen Investitionen beitragen, müssen Kommunen die zusätzlichen Betriebskosten selbst tragen. Ziel des Mobilitätspasses ist es, die Finanzierung langfristig verlässlich und steuerbar zu gestalten. Selbst, wenn eine volle Rückvergütung der Abgaben durch Ermäßigungen für ÖPNV-Tickets angenommen wird, können erhebliche Einnahmen erzielt werden, die für die Verbesserung des öffentlichen Verkehrs in der Gemeinde zur Verfügung stehen.

Das Ministerium für Verkehr Baden-Württemberg (2024) berechnete die kommunalen Einnahmen aus einem Mobilitätspass in 21 Modellregionen des Landes. Abbildung 3 gibt eine Übersicht über die potenziellen Nettoerlöse für die vier ursprünglichen Varianten bezogen auf eine Zahl von 100.000 Einwohnerinnen und Einwohnern. Dabei wurde eine Abgabenhöhe von zehn Euro je abgabenpflichtiger Person und Monat beim Einwohner:innen-, Kfz-Halter:innen sowie Arbeitgeberbeitrag angenommen. Die Straßennutzungsgebühr wird in der Modellrechnung in Form einer „digitalen“ Vignette mit Mobilitätsguthaben erhoben und als Gebühr 25 Euro für einen Monatspass, 12,50 Euro für einen Wochenpass und fünf Euro für einen Tagespass unterstellt.1

Gesamt-Netto-Erlöspotenzial pro 100.000 Einwohner:innen des Mobilitätspasses gemäß den mit den Modellregionen getroffenen Annahmen
© Ministerium für Verkehr Baden-Württemberg
Abbildung 3: Gesamt-Netto-Erlöspotenzial pro 100.000 Einwohner:innen des Mobilitätspasses gemäß den mit den Modellregionen getroffenen Annahmen

Insgesamt zeigt sich, dass mit dem Mobilitätspass schon bei einer beispielhaft betrachteten monatlichen Abgabenhöhe von zehn Euro pro Monat (für Einwohner:innen, Kfz oder Arbeitgeber) eine hohe Finanzierungswirkung und eine signifikante Lenkungswirkung erzielt werden können. Je nach Raumtyp variieren die jährlichen Einnahmen zwischen drei und zehn Millionen Euro pro 100.000 Einwohner:innen. Die Straßennutzungsgebühr würde aufgrund der höheren Abgaben wesentlich höhere Einnahmen erzielen. Es wird jedoch deutlich, dass diese nicht für ländliche Räume geeignet ist. Die Studie zeigt aber auch, dass in Großstädten und Verdichtungsräumen die Straßennutzungsgebühr das höchste Potenzial entfalten würde, um Autofahrer zum Umsteigen auf den öffentlichen Verkehr zu bewegen. Der Grund ist die Wirksamkeit einer Kombination von Push und Pull.

»Schon bei einer vergleichsweise geringen Abgabenhöhe ist der Mobilitätspass ein wertvolles Instrument, mit dem Kommunen den Ausbau von Bus und Bahn voranbringen und Menschen den Umstieg auf öffentliche Verkehrsmittel erleichtern können. Er versetzt Kommunen in die Lage, zum Beispiel das Fahrplanangebot von Bussen und Bahnen zu verbessern und Kapazitäten zu erhöhen – durch dichtere Takte, den Einsatz größerer oder zusätzlicher Fahrzeuge und den Ausbau von Infrastruktur und Digitalisierung. So kann die Zuverlässigkeit und Pünktlichkeit verbessert und die Anbindung an andere Verkehrsmittel optimiert werden. Das ist nicht nur gut fürs Klima, sondern kann auch die Straßen entlasten und Staus reduzieren.« Ministerium für Verkehr Baden-Württemberg (2024)

 

Mehr Informationen zu den Wirkungen des Mobilitätspasses finden sich hier auf der Seite des Verkehrsministeriums.

 

Aktuelle Diskussion um den Mobilitätspass

Die 21 Modellkommunen haben mit dem baden-württembergischen Verkehrsministerium wesentliche Grundlagen für den Mobilitätspass erarbeitet. Die Städte Karlsruhe und Freiburg sowie der Ortenaukreis arbeiten an weiterführenden Detailfragen. In der Verkehrswissenschaft herrscht Einigkeit darüber, dass eine Verbesserung des öffentlichen Verkehrs (Pull) nur dann substanzielle Wirkungen entfalten kann, wenn sie mit einer Beschränkung des motorisierten Individualverkehrs (Push) einhergeht. Deshalb könnte die Variante »Straßennutzungsgebühr« die größten Klimawirkungen entfalten, weil sie sowohl Push- als auch Pull-Wirkungen kombiniert. Nach monatelangen Verhandlungen zwischen den Regierungsparteien Grüne und CDU wurden die Varianten »Straßennutzungsgebühr« und »Arbeitgeberabgabe« aus dem Gesetzentwurf gestrichen. Mehr zur politischen Entscheidung findet sich hier. Jetzt (Stand August 2024) kann der Gesetzentwurf im Landtag verabschiedet werden.

Studien wie der Projektionsbericht 2023 (Umweltbundesamt 2023) zeigen, dass die Klimaziele im Sektor Verkehr nur mit einer ambitionierten Ausgestaltung und Kombination von verkehrspolitischen Instrumenten erreichbar ist. Dennoch eröffnet der Mobilitätspass den Kommunen neue Optionen zur Finanzierung einer erheblichen Verbesserung des öffentlichen Verkehrs. Um die Umweltwirkungen zu erhöhen, sollten die Kommunen zusätzlich Push-Maßnahmen ergreifen, die die Attraktivität des Autoverkehrs verringern.

Literatur

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