Digitalisierung und Industrie 4.0: Wie haben sich die deutschen Betriebe weiterentwickelt?
Wo steht Deutschland bei der Digitalisierung seiner Industrie? Welche Fortschritte haben die Betriebe in den letzten Jahren gemacht und gibt es Bereiche, in denen die Entwicklung stagniert? Mit diesen Fragen befasst sich eine neue Untersuchung des Fraunhofer ISI, in der erstmals ein zeitlicher Vergleich zum Umsetzungsgrad der Industrie 4.0 durchgeführt wurde. Die Ergebnisse zeigen auch, welche Rolle die Unternehmensgröße und die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Industriebranche bei der Verbreitung digitaler Technologien spielen.
In einer neuen Untersuchung vergleicht das Fraunhofer ISI erstmals, wie sich der Einsatz digitaler Technologien in Industriebetrieben über mehrere Jahre hinweg verändert hat. Dazu wurden die Angaben von 1.282 (2015) bzw. 1.256 Unternehmen (2018) mit dem vom Fraunhofer ISI entwickelten »I4.0-Readiness Index« ausgewertet, die im Rahmen der Erhebung Modernisierung der Produktion gesammelt wurden. Der Index erfasst anhand der drei Technologiefelder »Digitale Managementsysteme«, »Drahtlose Mensch-Maschine-Kommunikation« sowie »Cyber-Physische Produktionssystem-(CPS-)nahe Prozesse«, wie weit sich Unternehmen auf den digitalen Wandel in der Industrie eingestellt haben. Die drei Technologiefelder basieren wiederum auf sieben wichtigen Technologien, die Voraussetzung für Industrie 4.0 sind.
Dabei gilt: Je besser die Unternehmen in den drei Technologiefeldern abschneiden, desto besser stehen sie im »I4.0-Readiness Index« da. Dieser umfasst mehrere Stufen und reicht von Unternehmen ohne jegliche I4.0-Technologien (»Nicht-Nutzer«), über Anwender von I4.0-Basistechnologien (»Basisanwender«) bis hin zu solchen, die in allen Teilgruppen und insbesondere auch den komplexeren Technologien (»CPS-nahe Prozesse«) weit fortgeschritten sind und diese aktiv anwenden (»Spitzengruppe«).
Digitale Transformation vorwiegend bei I4.0-Basisanwendungen
Die Ergebnisse zeigen, dass die digitale Transformation in den letzten Jahren vor allem bei den I4.0-Basisanwendungen stattgefunden hat. Das heißt im Umkehrschluss, dass der Anteil von Unternehmen, die keinerlei I4.0-Technologien anwenden, zurückging: So fiel der Anteil der »Nicht-Nutzer« in Deutschland von 23 (2015) auf nur noch 14 Prozent (2018), während der Anteil der »Basisanwender«, die sich durch eine geringe bis mittlere Anwendung von Digitalisierungs-Technologien auszeichnen, von 61 auf 68 Prozent erhöht hat. In der Spitzengruppe gab es zwischen 2015 und 2018 hingegen nur einen geringen Zuwachs von zwei Prozent, was bedeutet, dass der Großteil der digitalen Transformation seit 2015 vorwiegend in den unteren Entwicklungsstufen stattgefunden und es bei komplexeren digitalen Technologien kaum Fortschritte gegeben hat.
Eine Betrachtung nach Betriebsgröße verdeutlicht zudem, dass vor allem kleinere Unternehmen bei der Digitalisierung ihrer Produktion aufholen konnten: Denn während der Anteil der Basisanwender zwischen 2015 und 2018 von 56 auf 71 Prozent anstieg, sank im gleichen Zeitraum der Anteil der Nichtanwender um 17 Prozent. Bei den Mittelständlern wurden dagegen nur geringe Fortschritte erzielt. Großunternehmen haben ihre gute Position beibehalten, konnten sich aber auch nicht verbessern – weder in der Spitzengruppe noch bei den Basisanwendern.
»Digitale Kluft« zwischen Groß- und Kleinunternehmen verringert sich
Die große »digitale Kluft« zwischen Groß- und Kleinunternehmen, die noch im Jahr 2015 bestand, hat sich in den letzten Jahren aber deutlich verringert, wenngleich kleinere Betriebe noch Nachholbedarf haben. Was die unterschiedlichen Branchen anbelangt, zeigte sich die größte Dynamik in der Nahrungs- und Getränkeindustrie, der Holz- und Papierindustrie oder der Gummi- und Kunststoffbranche – diese lagen 2015 noch weiter zurück. Zwar bleiben der Fahrzeugbau und die Elektronikindustrie digitale Vorreiterbranchen, allerdings hat sich ihr Abstand zu den anderen Bereichen deutlich verringert und das Feld insgesamt verdichtet.
Projektleiter Dr. Christian Lerch, der am Fraunhofer ISI das Geschäftsfeld »Industrieller Wandel und neue Geschäftsmodelle« leitet, zieht aus der Untersuchung folgendes Fazit: »Vor allem Kleinbetriebe haben ihre Digitalisierungs-Anstrengungen intensiviert und setzen I4.0-Basisanwendungen ein. Demgegenüber stehen der Mittelstand und die größeren Betriebe, die bei der Digitalisierung ihrer Produktion auf der Stelle treten oder sich nur geringfügig verbessern konnten. Während es bei den I4.0-Basisanwendungen die größten Fortschritte gab, existieren gerade bei den komplexeren Spitzenanwendungen weiter relevante Hemmnisse. Insgesamt macht diese Untersuchung deutlich, dass die vierte industrielle Revolution noch lange nicht abgeschlossen ist, sondern gerade erst begonnen hat und durch neue Entwicklungstendenzen geprägt ist.«
Das Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI analysiert Entstehung und Auswirkungen von Innovationen. Wir erforschen die kurz- und langfristigen Entwicklungen von Innovationsprozessen und die gesellschaftlichen Auswirkungen neuer Technologien und Dienstleistungen. Auf dieser Grundlage stellen wir unseren Auftraggebern aus Wirtschaft, Politik und Wissenschaft Handlungsempfehlungen und Perspektiven für wichtige Entscheidungen zur Verfügung. Unsere Expertise liegt in der fundierten wissenschaftlichen Kompetenz sowie einem interdisziplinären und systemischen Forschungsansatz.