Projekt

Technologische Souveränität: Pharma/Biotech

 

Seit Beginn der 2000er-Jahre hat sich die Verschiebung der weltweiten wirtschaftlichen Schwer-punkte gerade im Bereich von forschungs- und wissensintensiven Produkten verstärkt, Lieferket-ten konnten nicht weiterhin als gesichert angesehen werden und Abhängigkeiten wurden hinter-fragt. Pandemie, Krieg in der Ukraine und Energiekrise haben schließlich dazu geführt, dass sich die Weltwirtschaft im Krisenmodus befindet. Diese Entwicklungen stellen auch die Pharma- und Bio-techbranche vor neue Herausforderungen. Vor diesem Hintergrund gewinnt die Frage der techno-logischen Souveränität – definiert als Handlungsoptionen basierend auf eigenen Kompetenzen und zuverlässigen Netzwerken mit anderen Wirtschaftsräumen – an Bedeutung.

 

 

Das Projekt hatte zwei Ziele:

1)    Analyse der Situation und Wettbewerbsfähigkeit des Pharmasektors am Standort Deutschland.

2)    Untersuchung und Bewertung der technologischen Souveränität des Pharmasektors in Deutschland und seines Beitrags zum internationalen Innovationsgeschehen.

Um der Komplexität des biopharmazeutischen Innovationssystems gerecht zu werden, wurde ein kombinierter quantitativer und qualitativer Ansatz gewählt. Zum einen wurden mithilfe von Innovationsindikatoren das Innovationsgeschehen und die technologische Souveränität quantitativ im internationalen Vergleich charakterisiert. Zum anderen wurden die quantitativen Ergebnisse durch Literaturanalysen und qualitative Erhebungen mit Hilfe von Experteninterviews vor ihrem jeweiligen Hintergrund eingeordnet. Aus der Synthese der beiden Analyseansätze wurden Handlungsempfehlungen für die Weiterentwicklung des Pharmastandortes Deutschland abgeleitet. Damit möglichst aussagekräftige Ergebnisse gewonnen werden konnten, wurde die Analyse nicht pauschal für den gesamten Pharmasektor durchgeführt, sondern exemplarisch für fünf als besonders relevant eingeschätzte Technologiefelder: Gen- und Zelltherapie, RNA-Technologien, Biologicals/Biosimilars, Small Molecules (niedermolekulare Wirkstoffe) und Impfstoffe.

 

Insgesamt erreicht Deutschland in keinem der analysierten Technikfelder eine international führende Wettbewerbsposition. Überwiegend ist die Positionierung durchschnittlich. Lediglich bei Biopharmazeutika schneidet Deutschland überdurchschnittlich ab. Technologiesouveränität im Sinne freier Entscheidungsräume im Innovationskontext ist aus Perspektive global agierender Unternehmen gegeben. Auf nationaler Ebene sind jedoch wesentliche Einflussfaktoren der Technologiesouveränität, wie Nutzung neuer Techniken (z. B. Digitalisierung), Unterstützung durch effektive Strukturen, der regulatorische Kontext, Humankapital eher ungünstig ausgeprägt, sodass Deutschland in keinem der betrachteten Technikfelder wirksam Handlungsautonomie entfalten und zukunftsorientiert Märkte gestalten kann und daher insgesamt technologische Souveränität einbüßt. Damit steigt auch das Risiko, in Krisenfällen unter Umständen nicht über eigene Kapazitäten und Netzwerke zu verfügen, um die bestehenden Bedarfe zu decken.

Zur Verbesserung der Wettbewerbssituation und Sicherstellung der Technologiesouveränität Deutschlands ergeben sich Handlungsoptionen vor allem in vier Bereichen:

1)    Sicherung erforderlicher Kompetenzen. Hierzu zählen die Verbesserung der Rahmenbedingungen für die Zuwanderung von Fachkräften, die Anpassung akademischer Ausbildung mit einem stärkeren Fokus auf der Nutzung von Wissen in Ergänzung zu Erkenntnisgewinn sowie die Stärkung der naturwissenschaftlichen Ausbildung schon im Schulbereich.

2)    Beschleunigung von Innovationsprozessen. Förderlich sind hier neben einer generellen Überprüfung vorhandener bürokratischer Prozesse mit dem Ziel der Vereinfachung eine Reduzierung länderspezifischer Prozesse und Regularien verbunden mit einer stärkeren Harmonisierung von Zulassungs- und Genehmigungsprozessen. Weiterhin ist eine Bündelung von Expertise in bundesweit wenigen technologiespezifischen Kompetenzzentren empfehlenswert, um dort von der Grundlagenforschung bis zur klinischen Translation Innovationen effizient voranzutreiben.

3)    Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen öffentlicher Forschung und Industrie. Neben der Überprüfung von Rahmenbedingungen für die Zusammenarbeit, wie beispielsweise der IPR-Regelung und deren Umsetzung an Universitäten, ist die Schaffung von weiteren Anreizen für Industriekooperationen an Universitäten förderlich. Ebenso können sich Anpassungen der öffentlichen Förderung, beispielsweise ein stärkerer Fokus auf Translation, ein größeres Gewicht von Transfer bei Förderzielen oder die Weiterentwicklung von Förderinstrumenten für die Kooperation zwischen Universitäten und KMU positiv auswirken. Schließlich sollten die Rahmenbedingungen für die Mobilisierung von privatem Kapital zur Finanzierung von Unternehmen mit einer europäischen Perspektive optimiert werden.

Strategieentwicklung und Kommunikation. Eine gemeinsame Strategie zur Beschleunigung von Gesundheitsinnovationen in Deutschland kann einen wichtigen Beitrag zur Verbesserung der Wettbewerbssituation und Erreichung der technologischen Souveränität leisten. Erforderlich wären ein kontinuierlicher Austausch zwischen allen Stakeholdern des Gesundheitssystems zu Innovationsbedarfen und Innovationszielen, die Entwicklung gemeinsamer Visionen unter Berücksichtigung der positiven Erfahrungen bei der effizienten Entwicklung von Corona-Impfstoffen sowie die aktive Kommunikation der Ergebnisse von Strategieprozessen mit Gesellschaft und Politik.

Laufzeit

12/2022 - 10/2023

Auftraggeber

  • Verband der forschenden Pharmaunternehmen (vfa)