Bürgerinnen und Bürger sind unzufrieden mit der Verkehrswende, unterstützen aber wichtige politische Maßnahmen

Von Josephine Tröger, Elisabeth Dütschke und Marvin Helferich /

Im Projekt MobilKULT untersuchen wir die Zusammenhänge zwischen Infrastrukturen, Mobilitätsgewohnheiten, Mobilitätskultur und der Einstellung zu politischen Maßnahmen im Mobilitätsbereich wie dem Deutschlandticket. Bei der Befragung im Frühjahr 2024 haben wir erhoben, inwiefern die Meinungen der Menschen zu verschiedenen Maßnahmen in der Verkehrswende auseinanderdriften. Unsere Erkenntnis: Über verschiedene gesellschaftliche Gruppen hinweg gibt es eine große Ähnlichkeit bei den Antworten sowie eine kontinuierliche Unterstützung von Maßnahmen wie dem Deutschlandticket – allerdings auch eine Einigkeit darin, dass die Verkehrswende aktuell wenig Anklang findet.

Wenn es um die Gestaltung einer nachhaltigeren und ökologischeren Mobilität geht, denken wir häufig an den Ausbau und die Umgestaltung von Mobilitätssystemen: mehr ÖPNV auf dem Land, flächendeckende Ladeinfrastruktur für E-Mobilität, mehr Angebote zur geteilten Nutzung von Fahrädern oder Elektrofahrzeugen. Solche Veränderungen brauchen die Unterstützung und Anpassungsfähigkeit der Bevölkerung, da sie konkrete Auswirkungen auf die Gewohnheiten und Lebensrealitäten der Menschen haben.

Angesichts zunehmender Auswirkungen der Klimakrise, der aktuellen politischen Situation in Deutschland und Europa sowie der damit verbundenen Debatte über den gesellschaftlichen Zusammenhalt haben wir uns gefragt, wie es um die gesellschaftliche Stimmung rund um die Verkehrswende bestellt ist: Wie (un)einig sind sich Menschen über aktuelle Wege in der Verkehrswende? Welche möglichen Treiber gibt es für kollektive Veränderungen in der Mobilität? 

© Fraunhofer ISI
Einstellung zum motorisierten Individualverkehr und zur Verkehrswende

Verhaltene Zustimmung zur Verkehrswende – Zugang zu Infrastrukturen und Gewohnheiten beeinflussen Einstellung 

Zur Verkehrswende insgesamt äußern sich die Befragten unserer Studie im Durchschnitt verhalten bis ablehnend. Es finden sich allerdings leichte Unterschiede zwischen Stadt und Land sowie zwischen den Befragten in den beiden Bundesländern Baden-Württemberg und Mecklenburg-Vorpommern.

Am größten und bedeutsamsten jedoch sind die Unterschiede zwischen den Personen, die aktuell entweder viel oder wenig mit dem Auto unterwegs sind: Menschen, die wenig Auto fahren, sind in der Regel auch eher überzeugt von der Verkehrswende. Gleichzeitig sind sich alle Gruppen darüber einig, dass die individuelle Automobilität auch in Zukunft eine wichtige Rolle spielen wird. 

Wir interpretieren die Befunde so: Besserer Zugang zu Infrastrukturen für alternative Mobilität geht mit einer positiveren Einstellung zur Mobilitätswende einher. Außerhalb der Städte, wo der Zugang zu alternativen Mobilitätsformen häufig schlechter ist, sind die Menschen auch skeptischer, wie diese funktionieren könnten. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Nutzungsgewohnheiten und Vorlieben für Verkehrsmittel wahrscheinlich schon bei der Wohnortwahl eine Rolle spielen – wer mit dem Auto fährt, eines besitzt oder sich den Besitz vorstellen kann, zieht vermutlich eher in ländlichere Bereiche.   

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Wahrnehmung des gesellschaftlichen Zusammenhalts

Die Gefährdung des gesellschaftlichen Zusammenhalts ist spürbar 

Die Wahrnehmung des sozialen Zusammenhalts in Deutschland ist unter den Teilnehmenden eher negativ. Kleinere Unterschiede finden sich zwischen den Bundesländern: In Baden-Württemberg bewerten die Menschen den gesellschaftlichen Zusammenhalt im Durchschnitt etwas positiver als in Mecklenburg-Vorpommern. Zudem ist die Wahrnehmung in städtischen Gebieten positiver als in ländlichen Regionen. Dabei ist es wichtig zu berücksichtigen, dass in Mecklenburg-Vorpommern mehr Menschen in ländlichen Regionen wohnen als in Baden-Württemberg: In dem nordöstlichen Bundesland ist es fast jeder zweite Befragte, im Südwesten nur jeder fünfte – diese beiden Faktoren überlagern sich also.

Im Großen und Ganzen sind sich die Menschen einig in ihren Wahrnehmungen und sehen das Risiko einer gesellschaftlichen Spaltung. Gleichzeitig sehen sich die Befragten in unserer Stichprobe überwiegend akzeptiert in Deutschland – bei einem gleichzeitigen Gefühl, durch die Regierung benachteiligt zu sein. Das deutet auf eine Entfremdung von der Politik hin.

Politische Maßnahmen profitieren von einer Stärkung des sozialen Zusammenhalts

Die Wahrnehmung des sozialen Zusammenhalts und die Befürwortung politischer Maßnahmen hängen zusammen: Wer den Zusammenhalt positiver sieht, unterstützt auch stärker sämtliche politische Maßnahmen, die im Fragebogen gefragt waren. Nur bei zwei Mobilitätsmaßnahmen hat die Wahrnehmung des sozialen Zusammenhalts keinen nennenswerten Einfluss: das Deutschlandticket, das über alle vier bisherigen Wellen der MobilKULT-Studie hinweg die beliebteste Maßnahme ist, und die Abschaffung des Dienstwagenprivilegs.

Offen ist, wie sich eine Umsetzung der Maßnahmen auf diejenigen auswirken würden, die Zweifel am Zusammenhalt haben: Würde es diese Zweifel vergrößern? Oder könnte es das Vertrauen erhöhen, gerade wenn es sich um beliebte Maßnahmen handelt wie beispielsweise autofreie Innenstädte?

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Verlauf: Politische Maßnahmen

Kontinuität in der Akzeptanz von Politikmaßnahmen und der Automobilitätskultur

Mit der nun abgeschlossenen vierten Welle stellen wir beachtliche Kontinuitäten fest: Das Deutschlandticket ist die beliebteste Maßnahme, und es hat zu Mobilitätsverlagerungen vom Auto auf den ÖPNV beigetragen. Bei den untersuchten verkehrspolitischen Maßnahmen zeigt sich wenig Veränderung in der Bewertung: Autofreie Innenstädte, Tempolimit auf Autobahnen und eine Home-Office Pflicht sind die Maßnahmen, die zusammen mit dem Deutschlandticket über alle Wellen hinweg am besten bewertet wurden.

Auch die Wahrnehmung der Automobilitätskultur hat sich über die Wellen hinweg nicht verändert – was darauf hinweist, dass sich die Rolle des Autos in der Wahrnehmung der Menschen bisher nicht ändert. Dabei ist die Identifikation mit dem Auto konstant niedrig über die Wellen. Aber für viele bedeutet Autofahren, Freiheit und Unabhängigkeit im Alltag zu haben und die Möglichkeit, persönliche Vorlieben bei der Wohnsituation zu realisieren.  

Maßnahmen umsetzen, um die Verkehrswende spürbar zu machen

Die Verkehrswende ist bisher für die Bevölkerung wenig spürbar und hat kaum Auswirkungen auf den Alltag. Die Ausnahme ist das Deutschlandticket: Es ist beliebt und verstärkt bei denen, die es nutzen, eine nachhaltige Verkehrsmittelwahl – und das, obwohl seine Einführung bisher nicht mit Verbesserungen im Angebot einherging.

Zu den weiteren Maßnahmen, die die Mehrheit der Bevölkerung unterstützt, gehören autofreie Innenstädte, eine Tempolimit auf Autobahnen sowie die Förderung von Home-Office, um Wege zu vermeiden. 

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