Suffizienzorientierte Lebensstile: Der Schlüssel zu Wohlbefinden und sozial-ökologischer Gerechtigkeit?

von Josephine Tröger /

Die Folgen von Überkonsum und dem Überschreiten der »planetaren Grenzen« werden immer spürbarer. Suffizienz als Prinzip des »Weniger, aber genug für alle« rückt als Nachhaltigkeitsstrategie immer mehr in den Mittelpunkt aktueller Diskussionen zum Klimaschutz. Wie auf Suffizienz ausgerichtete Lebensstile aussehen können und wie sich diese auf allen gesellschaftlichen Ebenen fördern lassen, untersucht das Horizon-2020-Projekt FULFILL unter der Projektleitung von Elisabeth Dütschke. Erste Projektergebnisse wurden nun veröffentlicht.

Das FULFILL-Projekt beschäftigt sich mit Suffizienz nach dem Prinzip »Weniger, aber genug für alle«.
© Unsplash/Hello I'm Nik
Das FULFILL-Projekt beschäftigt sich mit Suffizienz nach dem Prinzip »Weniger, aber genug für alle«.

Im Oktober 2021 startete das Projekt FULFILL mit einem EU-weiten Projektkonsortium. Partner:innen aus Deutschland, Italien, Frankreich, Dänemark und Lettland arbeiten gemeinsam daran, Suffizienz als ein umfassendes Prinzip zur Transformation in eine nachhaltige Gesellschaft genauer zu verstehen. Das Projekt fokussiert dabei die Rolle von Lebensstilen und verschiedener Lebensstilveränderungen hin zu mehr Suffizienzorientierung auf verschiedenen gesellschaftlichen Ebenen.

Im ersten Schritt wurde die aktuelle Literatur zusammengefasst und ein gemeinsames Verständnis der zentralen Begriffe Suffizienz, Lebensstile und Wohlbefinden entwickelt.

Was genau ist eigentlich Suffizienz?

Suffizienz heißt: Ressourcenverbrauch und Konsum reduzieren, Gewohnheiten so verändern, dass Bedürfnisse mit weniger Ressourcenverbrauch mindestens genauso gut befriedigt werden, Politiken so gestalten, dass Konsumreduktion quasi automatisch stattfindet – bei gleichzeitigem Gewinn von Lebensqualität.

Für die Förderung von suffizienzorientierten Lebensstilen wurden dabei drei wichtige Komponenten herausgearbeitet. Erstens sind es suffizienzorientierte Gewohnheiten (d.h. Verhaltensweisen und Entscheidungen), die dazu führen, dass Emissionen reduziert werden bei gleichzeitig hohem/zunehmendem Wohlbefinden. Zweitens sind es Infrastrukturen, die Suffizienz als Ziel unterstützen oder verhindern können (etwa Radwege und die Verfügbarkeit von öffentlichem Personennahverkehr) und drittens ist es der soziale und gesellschaftliche Rahmen (d.h. Regeln, Normen und Gesetze), welcher Suffizienz fördern kann und sollte. Auch entsprechende politische Maßnahmen (wie etwa Steuerentlastungen für emissionsarme Haushalte) spielen hier eine große Rolle.

Außerdem wurden zentrale Handlungsbereiche identifiziert, in denen eine Reduktion der Emissionen zu mehr Suffizienz führt und die bei der Analyse von Lebensstilen einen Fokus erhalten. Diese sind: 

  • Reduktion von motorisiertem Individualverkehr und der Wechsel auf nicht fossil betriebene Verkehrsmittel, d.h. Fahrrad, Elektrofahrzeuge, öffentliche Verkehrsmittel
  • Weniger Reisen allgemein und vor allem weniger von solchen Reisen, die mit einem großen fossilen Fußabdruck einhergehen (insb. Verzicht auf Flugreisen)
  • Weniger flächenintensives Wohnen und angemessene Raumtemperaturen beim Heizen und Kühlen
  • Reduktion des materialintensiven Konsums und Verlängerung der Nutzungsdauer- sowie Produktlebenszyklen von Geräten zum Beispiel durch produktionsseitige Ermöglichung von Reparierbarkeit und Förderung der nutzer:innenseitigen Reparaturfähigkeiten
  • Veränderung von Ernährungsweisen hin zu einer veganen und vegetarischen Lebensweise

Diese Aspekte sind ein erster Anhaltspunkt für die weitergehende Forschung und nachfolgenden Arbeitspakete im Projekt.

Wie wirkt sich Suffizienz auf die Geschlechtergerechtigkeit aus?

Ein wichtiger Aspekt, der durchweg mitberücksichtigt wird, ist die Betrachtung von geschlechtsspezifischen Auswirkungen und Zusammenhängen bei suffizienzorientierten Lebensstilen. Im Suffizienz-Diskurs wird häufig die Hoffnung verbreitet, dass individuelles Wohlbefinden durch Reduktion erhöht wird und gleichzeitig Gerechtigkeit zwischen verschiedenen Gruppen, u.a. auch den Geschlechtern, hergestellt wird.

Dazu gibt es aber einerseits wenig Daten und andererseits wird der Blick noch zu wenig hinter die Kulissen geworfen: Wenn weniger Geräte angeschafft werden, muss Arbeit wieder per Hand verrichtet werden (z.B. muss beim Verzicht auf den Wäschetrockner die Wäsche aufgehängt werden). Diese kann Spaß machen und das Gefühl von Kompetenz stärken – doch wer verrichtet diese Arbeiten, wenn sie wieder vermehrt stattfinden? Wie verändert sich die Verteilung von Erwerbs- und Sorge-Arbeit (Haushaltstätigkeiten, Pflege von Familienangehörigen) tatsächlich, wenn Menschen versuchen, suffizienzorientierter zu leben? Und läuft Suffizienz auch Gefahr, soziale Härten zu verschärfen? Auch das ist ein Schwerpunkt des Projekts, welcher im Rahmen der aktuellen Forschung bearbeitet wird.

Kürzlich wurde eine erste große Befragung gestartet, bei der es um ein umfassendes Verständnis suffizienzorientierter Lebensstile im Zusammenspiel mit dem ökologischen Fußabdruck, dem Wohlbefinden und soziodemografischen Merkmalen geht. Über die Ergebnisse werden wir zeitnah auch hier auf dem Blog des Fraunhofer ISI berichten. 

Auf der Website zum Projekt lassen sich weitere Informationen zu den Partnern und dem Projekt finden. Erste Publikationen und Berichte sind ebenso dort abrufbar.