Welche Rolle spielen Dienstleistungen für die nordrhein-westfälische Industrie?

Wie hat sich die Industrie in Nordrhein-Westfalen in den letzten Jahren entwickelt und welche Rolle spielen industrieorientierte Dienstleistungen hierbei? Eine aktuelle Studie zeigt, dass der Dienstleistungssektor in NRW zwar sehr dynamisch ist, jedoch den Rückgang der Industrie noch nicht vollständig kompensieren konnte.

Nordrhein-Westfalen gilt traditionell als stark industriell geprägtes Bundesland, das in den letzten Jahrzehnten stark vom Strukturwandel betroffen war. Während Beschäftigungs- und Wertschöpfungsanteile des industriellen Sektors abnahmen, stiegen gleichzeitig die Anteile des Dienstleistungssektors an. Der Strukturwandel ist aber nicht nur als Verschiebung der Beschäftigung und Wertschöpfung von der Industrie hin zum Dienstleistungssektor zu verstehen. Vielmehr orientieren sich auch innerhalb der Industrie Unternehmen zunehmend in Richtung Dienstleistungen und die Austauschbeziehungen zwischen Industrie und Dienstleistungen werden intensiver und vielfältiger.

Wie sich diese Prozesse in Nordrhein-Westfalen auswirken und welche Verbindungen es zwischen Industrie und Dienstleistungen gibt, analysiert die Studie »Wirtschaftliche Bedeutung industrieorientierter Dienstleistungen in Nordrhein-Westfalen«, die gemeinsam vom Institut für Angewandte Wirtschaftsforschung (IAW), dem Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI sowie der Hochschule Bochum im Auftrag des Ministeriums für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen durchgeführt wurde.

Dienstleistungssektor kompensiert Rückgang der Industrie nicht

Eine im Rahmen der Studie durchgeführte Analyse auf Basis amtlicher Daten (Beschäftigungsstatistik, Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung) förderte deutliche Unterschiede bei der Entwicklung der Wertschöpfungsanteile des Verarbeitenden Gewerbes an der gesamten wirtschaftlichen Leistung zu Tage: Diese sanken in NRW von 23% (2000) auf nur noch 20% (2016), während die Situation in Deutschland nahezu unverändert blieb. Der Dienstleistungssektor entwickelte sich dagegen in eine ganz andere Richtung, wie Dr. Andreas Koch, Projektleiter der Studie am IAW, erklärt: » In NRW gehen fast 96% der zwischen 2008 und 2018 neu entstandenen Beschäftigung auf das Konto des Dienstleistungssektors. Fast 40% entfallen auf die industrieorientierten Dienstleistungen. Dennoch konnte der nordrhein-westfälische Dienstleistungssektor insgesamt die Wertschöpfungsverluste der Industrie nicht kompensieren.«

Die Studie untersuchte ebenfalls, wie abhängig die nordrhein-westfälische Industrie von industrieorientierten Dienstleistungen ist und wo die Wertschöpfung erfolgt. Laut Prof. Dr. Tobias Kronenberg von der Hochschule Bochum sind die industrieorientierten Dienstleistungsanbieter aus NRW stärker von industriellen Wertschöpfungsketten anderer Bundesländer und des Auslands abhängig als von denen des eigenen Bundeslands: »Die Bruttowertschöpfung der nordrhein-westfälischen industrieorientierten Dienstleister hängt nur zu 4% von der Endnachfrage nach Industriegütern aus NRW, zu 16% von der Endnachfrage aus anderen Bundesländern und zu 9% aus dem Ausland ab.«

Dienstleister aus NRW weisen hohe Außenorientierung auf

Eine Befragung von Dienstleistungsunternehmen zeigt zudem, dass 85% aller industrieorientierten Dienstleister in NRW entweder direkt oder indirekt als Zulieferer mit der Industrie verbunden sind. Zudem ist die Mehrheit nicht nur in NRW, sondern auch in anderen deutschen Bundesländern (40%) oder sogar international tätig (50%). 21% aller Dienstleister haben sowohl internationale Beschaffungs- als auch Absatzmärkte. Dagegen sind nur 10% aller Dienstleister ausschließlich in Nordrhein-Westfalen wirtschaftlich aktiv.

Auch innerhalb der Industrie gewinnen Dienstleistungen an Bedeutung. So gab es im industriellen Sektor in NRW einen Rückgang der einfachen manuellen Berufe von fast 35% im Jahr 1981 auf 27% im Jahr 2016; gleichzeitig nahmen die Anteile von einfachen (von 11% auf 14%) und von (hoch-)qualifizierten Dienstleistungsberufen (von 11% auf 16%) zu. Insbesondere der Anteil (hoch-)qualifizierter Dienstleistungsberufe im IT-Bereich stieg von 44% zu Beginn der 1980er Jahre auf 64% zur Mitte der 2010er Jahre an.

Dienstleistungsorientierung nimmt auch im Verarbeitenden Gewerbe zu

Der Trend zu einer stärkeren Dienstleistungsorientierung im Verarbeitenden Gewerbe bestätigt sich – in NRW wie in Deutschland – auch auf Betriebsebene: Wie Zahlen aus der repräsentativen Betriebsbefragung Modernisierung der Produktion des Fraunhofer ISI unterstreichen, hat sich der Anteil der Anbieter sogenannter hybrider Wertschöpfungskonzepte – also die konkrete Verbindung industrieller Produkte mit meist höherwertigen Dienstleistungsangeboten – seit den 2000er Jahren in Deutschland in etwa verdoppelt. Ebenso nimmt auch die Verbreitung der einfacheren, produktbegleitenden Services zu. Etwa ein Drittel aller Industriebetriebe in Deutschland bietet außerdem digitale Geschäftsmodelle an. Dr. Christian Lerch vom Fraunhofer ISI fügt jedoch hinzu: »Unsere Untersuchungen zeigen auch, dass parallel zur Ausweitung der Dienstleistungsangebote die direkten Umsatzanteile hiermit von etwa 8% auf 6% gefallen sind. Dies kann einerseits auf wettbewerbsstrategische Gründe wie Outsourcing oder Kundenbindung zurückgeführt werden, andererseits aber auch auf nicht realisierte Renditen mit Serviceinnovationen bzw. auf am Markt nicht durchsetzbare Preise.«

Die nordrhein-westfälische Industrie hinkt aber, was das Angebot hybrider Wertschöpfungskonzepte angeht, den anderen deutschen Bundesländern hinterher. Hier gibt es noch deutliches Entwicklungspotenzial für den nordrhein-westfälischen Industrie-Dienstleistungs-Verbund – etwa über neue Kooperationen und insbesondere auch im Zukunftsfeld der Digitalisierung. Damit ließe sich nicht nur die Wettbewerbsfähigkeit der heimischen Industrie stärken, sondern auch die hohe Abhängigkeit der industrieorientierten Dienstleister vom Ausland reduzieren.

Das Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI analysiert Entstehung und Auswirkungen von Innovationen. Wir erforschen die kurz- und langfristigen Entwicklungen von Innovationsprozessen und die gesellschaftlichen Auswirkungen neuer Technologien und Dienstleistungen. Auf dieser Grundlage stellen wir unseren Auftraggebern aus Wirtschaft, Politik und Wissenschaft Handlungsempfehlungen und Perspektiven für wichtige Entscheidungen zur Verfügung. Unsere Expertise liegt in der fundierten wissenschaftlichen Kompetenz sowie einem interdisziplinären und systemischen Forschungsansatz.