»Viele Menschen, die über KI forschen, sind von den praktischen Erfolgen ihrer Programme selbst überrascht.«

von Ulrike Aschoff /

Dr. Bernd Beckert leitet den Forschungsschwerpunkt »Künstliche Intelligenz« am Fraunhofer ISI. Im Interview berichtet er von seiner Arbeit und seinen Forschungszielen.

Wer ist intelligenter: Data oder C-3PO?

Ganz klar Data, weil er die komplexere Figur ist. Als Android tut er ja alles dafür, so zu werden wie wir Menschen und nimmt dafür sogar in Kauf, nicht mehr richtig zu funktionieren. In der Star-Trek-Serie erlaubt dieser Einfall viel Situationskomik. In der Realität versuchen wir heute umgekehrt, menschliche Begrenztheiten mit Hilfe Künstlicher Intelligenz zu überwinden. Das Erkenntnispotenzial würde ich generell nicht zu hoch ansetzen, aber an der Figur des Data sieht man schon, dass die Entwicklung der KI ganz eng mit grundlegenden Fragen zum Mensch-Technik-Verhältnis verbunden ist.

Wann wird es Androiden mit eigenem Bewusstsein geben, die nicht mehr von uns Menschen zu unterscheiden sind?

Wenn man sich die Probleme anschaut, mit denen die KI heute kämpft, fällt es sehr schwer, sich vorzustellen, dass wir in absehbarer Zeit eine Software oder einen Roboter mit eigenem Bewusstsein entwickeln könnten. Allerdings beflügelt diese Aussicht natürlich viele Visionen. Dabei gibt es sehr starke Argumente dafür, dass das, was wir unter Bewusstsein verstehen und das ja an das menschliche Leben gebunden ist, niemals mit Hardware und Software künstlich nachgebildet werden kann.

Aber möglicherweise weist die Frage in die falsche Richtung. Denn sollten Maschinen in der Zukunft tatsächlich einmal in der Lage sein, sehr komplexe Aufgaben zu übernehmen, für die es einer Art Weltverständnis bedarf, dann würde das für uns möglicherweise so aussehen, als hätten sie ein Bewusstsein, aber in Wirklichkeit wäre es natürlich nur eine sehr clevere Simulation von Bewusstsein. Ich denke, »Simulation« ist der zentrale Begriff zum Verständnis dessen, was Künstliche Intelligenz kann und was sie in Zukunft noch weiter perfektionieren wird. Dabei geht es darum, dass wir Menschen immer die Oberhand behalten und dass wir Simulationen nicht mit menschlichem Verhalten verwechseln.

Kannst Du Dich noch erinnern, wann Du das erste Mal von Künstlicher Intelligenz (KI) gehört oder gelesen hast?

Vor ungefähr zehn Jahren wurde viel über Expertensysteme, neuronale Netze und das »Semantic Web« diskutiert. All das war schon damals lose mit der Künstlichen Intelligenz verknüpft. Mir war aber überhaupt nicht klar, was regelbasierte Systeme mit Intelligenz zu tun haben sollten.

Ich muss zugeben, dass mich erst die überraschend guten Ergebnisse von KI-basierten Übersetzungsprogramme und die verblüffenden Ergebnisse automatisierter Textauswertungen so richtig für das Thema begeistert haben. Das Programm »Project Debater« von IBM kann zum Beispiel aus Texten, mit denen man es füttert, selbständig Pro- und Contra-Argumente auf Fragen extrahieren, die man vorher festgelegt hat. Anwendungen wie diese fand ich so erstaunlich, dass ich mich gefragt habe: Wie macht das Programm das? Wie können die Ergebnisse soviel besser sein als noch vor ein paar Jahren?

Interessanterweise sind viele Menschen, die über KI forschen, von den praktischen Erfolgen ihrer Programme selbst überrascht. Weil wir heute viel mehr Rechenpower und viel bessere Trainingsdaten haben, funktionieren die neuronalen Netze bei konkreten Umsetzungen sehr gut. Oftmals ist aber gar nicht klar, warum sie das tun, das heißt die praktischen Erfolge gehen der Theorie voraus. Dies zeigt, dass wir uns in einer frühen Phase der Entwicklung befinden, was das Ganze natürlich sehr spannend macht.

Was sind die Schwerpunkte der KI-Forschung am Fraunhofer ISI und was ist das Besondere daran?

Wir haben im Frühjahr 2020 das Querschnittsthemenfeld »Künstliche Intelligenz« am Fraunhofer ISI gegründet, um die verschiedenen, schon existierenden KI-Aktivitäten im Haus zu koordinieren. Für uns ist es sehr wichtig, die unterschiedlichen Perspektiven zusammenzubringen und nach außen als Einheit aufzutreten.

Unser Oberthema ist »KI aus Innovationsperspektive«. Darunter haben wir neun spezifische Fragestellungen definiert: von der Frage zu Veränderungen des Gesundheitssystems durch KI über Beiträge der KI zur Energiewende bis hin zur Frage, was nach der KI kommt. Alle Fragen und die zugehörigen Projekte finden sich auf unserer Webseite.

Das Gemeinsame an diesen Fragen ist, dass wir die Künstliche Intelligenz immer im Anwendungskontext betrachten und dabei die nutzungsspezifischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Implikationen im Blick haben: Wir beschäftigen uns weniger mit den technischen Feinheiten, sondern kümmern uns um die Anwendungspotenziale, die Bedingungen und Folgen ihres Einsatzes in unterschiedlichen Bereichen. Gerade weil das Thema so komplex ist, gibt es hier großen Aufklärungs- und Beratungsbedarf.

Welche Fragen und Themen liegen dir besonders am Herzen?

Wichtig ist mir, dass wir uns beim Thema KI nicht blenden lassen von ungedeckten Versprechungen und Marketinggags – oder auch von Zukunftsvisionen, die weit übers Ziel hinausschießen. Hier finde ich es wichtig, dass wir genau hinschauen.

Andererseits sollten wir auch nicht naiv sein und die vielfältigen Fortschritte der KI ignorieren. Viele denken ja, KI-Programme würden nichts anderes tun, als programmierte Befehlszeilen stur abzuarbeiten und bestreiten, dass KI im menschlichen Sinne »lernen« oder gar »denken« könnte.

Ich glaube, Deep Learning mit seinen Fähigkeiten der Vorausschau stellt tatsächlich eine neue Dimension dar, die man im Hinblick auf das Innovationspotenzial – aber auch die gesellschaftlichen Auswirkungen – nicht unterschätzen sollte. Hier kommt es darauf an, dass die Bereiche Entwicklung und Anwendung noch stärker zusammenarbeiten. Für diese spezielle Kooperation haben wir am Fraunhofer ISI partizipative Verfahren entwickelt, die noch viel zu wenig genutzt werden.

Wie nutzt Du KI bei Deiner Forschungsarbeit und im Alltag?

Ich schreibe nicht mehr selbst, sondern lasse meine Forschungsberichte automatisch von GPT-3 erstellen! Das Programm schreibt Texte in meinem Stil selbständig weiter und ich kann mich zurücklehnen. ;-)

Im Ernst: Wir nutzen am Institut KI-Methoden für die empirische Analyse des Innovationsgeschehens. Da geht es zum Beispiel darum, wie man das Patentierungsverhalten von Unternehmen in bestimmten Sektoren analysieren und auch vorhersehen kann. Auch im Foresight-Bereich setzen wir Big-Data-Methoden ein, um herauszufinden, welche Technologietrends sich abzeichnen. Das macht unsere Arbeit anspruchsvoller, weil wir es mit einer Vielzahl unstrukturierter Daten zu tun haben.

Andererseits soll sich KI ja auch einsetzen lassen, um Alltagsabläufe zu vereinfachen: Ich habe gehört, dass es ein KI-Programm gibt, das sich mein E-Mail-Verhalten anschaut und registriert, wenn ich immer wieder das Gleiche mache, wenn ich die gleichen Leute zu einem Treffen einlade oder Formulierungen immer wieder verwende. Beim nächsten Mal schreibt dann die KI die E-Mail selbständig und ich muss sie nur noch verschicken. Ich glaube, das sollte ich mir mal genauer anschauen…