Chinas Innovationssystem muss offener werden – das gilt teilweise auch für Deutschland

Der Offenheitsindikator 2018, den das Fraunhofer ISI zusammen mit dem ZEW im Rahmen des Innovationsindikators 2018 erstellt hat, untersucht die Offenheit von 35 Volkswirtschaften. China belegt hier nur Rang 35, Deutschland landet auf Platz 21. Die mangelnde Offenheit Chinas ist auch ein zentrales Thema auf dem EU-China-Gipfeltreffen am 9. April.

Das Gipfeltreffen zwischen China und der EU am 9. April thematisiert in erster Linie die mangelnde Offenheit der chinesischen Volkswirtschaft und eine Verbesserung der gemeinsamen wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Zusammenarbeit. Die chinesische Regierung bemüht sich zwar um eine Öffnung des eigenen Innovationssystems, diese geht den westlichen Regierungs- und Wirtschaftsvertretern aber nicht weit genug. Der im Auftrag des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) realisierte Offenheitsindikator des Fraunhofer-Instituts für System- und Innovationsforschung ISI und des Leibniz-Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) belegt diese Sichtweise mit statistischen Kennzahlen.

Laut des Offenheitsrankings, das 35 Volkswirtschaften auf der Basis von Aspekten wie Wissenserwerb, Wissensaustausch, Zusam­menarbeit oder der internationalen Ausrichtung vergleicht, liegen die Schweiz (68 Punkte), Irland (67 Punkte) und die Niederlande (63) bei der Offenheit an der Spitze, gefolgt von Österreich (62), Singapur (59), Schweden (58) und Großbritannien (56). Da sich kleinere Volkswirtschaften thematisch spezialisieren müssen und im Gegensatz zu größeren nicht alle Wissens- und Innovationsfelder selbst abdecken können, sind sie mehr oder minder zur Offenheit gezwungen und schneiden im Ranking daher auch durchweg besser ab. China landet mit nur 14 Indexpunkten auf dem letzten Platz. Deutschland (34 Punkte bzw. Platz 21), die USA (31 Punkte, Platz 24) und Japan (17 Punkte, Platz 31) schneiden im direkten Vergleich der vier größten Volkswirtschaften besser ab.

Die im Zeitverlauf sinkende Öffnung Chinas gilt sowohl in wissenschaftlicher, wirtschaftlicher als auch in gesellschaftlicher Hinsicht. Die wirtschaftliche Entwicklung des Landes wurde in den 2000er-Jahren entscheidend geprägt durch ausländische Direktinvestitionen, Joint Ventures und intensive Handelsbeziehungen – mittels des Imports von Wissen und Gütern und durch internationalen Austausch und Kooperationen. Die Öffnung des Landes nach außen bzw. die Reformen für mehr Offenheit konnten dabei mit dem Wachstum des Bruttoinlandsprodukts nicht mithalten. Die Forderungen nach Reformen und Öffnung, die auch beim EU-China-Gipfel ganz oben auf der Agenda stehen, haben folglich nicht nur ihre politische Berechtigung, sondern können auch statistisch untermauert werden.

Trotz des schlechten Abschneidens beim Offenheitsindikator ist unbestritten, dass China bei diversen Technologien und in vielen Sektoren bereits ein starker Wettbewerber ist und sich im Übergang von einem Low-Cost- zu einem Hightech-Anbieter befindet. Das unterstreicht auch die ambitionierte »Made in China 2025«-Strategie, mit der das Land eine Führungsrolle in zehn strategisch wichtigen Wirtschaftsbranchen wie Fahrzeugtechnik, Robotik oder Luftfahrt anstrebt. Aktuell sind chinesische Unternehmen aber oftmals nur auf dem heimischen Markt und lediglich in wenigen Branchen und Technologiefeldern bei innovativen Produkten und Dienstleistungen international wettbewerbsfähig. Weite Teile des wirtschaftlichen Erfolgs von China fußen noch nicht auf Innovation, sondern eher auf Preisführerschaft und Infrastrukturinvestitionen.

Dr. Rainer Frietsch, der am Fraunhofer ISI den Offenheitsindikator koordiniert hat, betont: »Wenn China als Marktwirtschaft und als gleichberechtigter Partner auf internationaler Ebene dauerhaft akzeptiert werden will, dann ist eine Anpassung an die globalen Veränderungen beim Wissens- und Ideenaustausch unumgänglich. Die chinesische Regierung täte gut daran, mit ihrer Politik die Vernetzung zu erhöhen und möglichst ungehindert Wissensflüsse zu ermöglichen – übrigens ebenso wie die Regierungen in allen anderen innovationsbasierten Volkswirtschaften, allen voran Japan, die USA und Deutschland.« Genau wie China verschlechterte sich auch Deutschland gegenüber dem Jahr 2007, das als Vergleichsjahr erhoben wurde: So fiel etwa das deutsche Wissenschaftssystem international zurück, weil der Anteil an internationalen Ko-Publikationen (aktuell 55,2%), der Bestand an ausländischen Investitionen (40,4% am BIP) und der Investorenschutz deutlich zurückgingen. Demgegenüber zeigt sich die deutsche Wirtschaft vergleichsweise offen, wie unter anderem die hohe Importquote (39,7% am BIP) unterstreicht.

Über den Offenheits- und Innovationsindikator

Der Innovationsindikator ist eine regelmäßige, vergleichende Studie zur Innovationsstärke und erschien zum ersten Mal im Jahr 2000. In der 2018er Ausgabe erfasste ein Offenheitsindikator, wie offen Volkswirtschaften im internationalen Vergleich sind. Der Innovationsindikator erforscht die Innovationsbedingungen am Wirtschaftsstandort Deutschland und vergleicht sie in einem Ranking in den Bereichen Wirtschaft, Wissenschaft, Bildung, Staat und Gesellschaft sowie in einem Gesamtindikator mit den weltweit führenden Industrieländern und aufstrebenden Staaten. Auf diese Weise entsteht eine Grundlage für innovationspolitische Entscheidungen. Der Innovationsindikator wird im Auftrag des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) durchgeführt. Die Studie wird vom Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI in Zusammenarbeit mit dem Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) erstellt. Der Innovationsindikator wurde vom BDI gemeinsam mit der Deutsche Telekom Stiftung initiiert.

Die Publikation kann unter www.innovationsindikator.de heruntergeladen werden.

Weitere Informationen

Das Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI analysiert Entstehung und Auswirkungen von Innovationen. Wir erforschen die kurz- und langfristigen Entwicklungen von Innovationsprozessen und die gesellschaftlichen Auswirkungen neuer Technologien und Dienstleistungen. Auf dieser Grundlage stellen wir unseren Auftraggebern aus Wirtschaft, Politik und Wissenschaft Handlungsempfehlungen und Perspektiven für wichtige Entscheidungen zur Verfügung. Unsere Expertise liegt in der fundierten wissenschaftlichen Kompetenz sowie einem interdisziplinären und systemischen Forschungsansatz.